LIEBE DEINEN MÜLL„Ich hab`s gesehen. Glauben Sie mal bloß nicht, dass ich´s nicht gesehn hab. So was entgeht mir nicht.“ Die beiden Mülltüten fallen mir vor Schreck fast aus der Hand . Ich drehe mich um, wie ein Fünfjähriger, der beim Griff in die Bonbondose erwischt wird. Sie ist es. Meine Hausmeisterin. Wie ein Phantom aus der Nebelwand taucht sie hinter mir auf. Sie bedeckt ihren gewaltigen Körper mit einer gelben Kittelschürze, darauf kindische Sonnenblumenmotive. Ganz sicher der Ausdruck all ihrer gesammelten Frühlingsgefühle. Sie ist eine dicke Biene. Und Bienen können verdammt gefährlich werden. Vor allem die hier. „Ihr Müll gehört nicht in die Papiertonne, sondern in die Restmülltonne. Ist das so schwer? Sie können doch lesen, oder habt ihr das im Westen nicht gelernt?“ „Aber die Restmülltonne ist doch jetzt voll. Da geht nichts mehr rein. Wo soll ich denn hin mit meinem Müll?“ „Dann müssen se eben früher aufstehen, dann sind se auch der Erste an der Tonne. Bis in die Puppen schlafen und sich dann auch noch beschweren, wenn die anderen Mieter schneller sind. Nee, neee. .. so was hab ich gern.“ Sie lacht hoch, schrill und empört. Ein Wind fährt durch den Hinterhof. Ihr grauer, steil hochfrisierter Dutt schaukelt sanft in der Brise wie eine Fichte. So kenne ich sie. Sie wartet auf meinen nächsten Zug. Ich wähle die Masche Mitleid. „Soll ich den Müll jetzt da oben in meiner Wohnung horten, bis in drei Tagen die Müllabfuhr kommt?“ „Mir doch egal. Hier packen se den jedenfalls nicht rein. Gesetz ist Gesetz.“ Wie sie da so selbstherrlich steht, mit ihren dicken Zehen, die aus den Gesundheitsschuhen rausquellen, die Arme in die Hüften gestemmt und die Augen zu kleinen Schlitzen zusammen gepresst – sie ist eine moderne Inquisitorin. Sie hat mich auf ihren hausmeisterlichen Scheiterhaufen gebunden und hält das Feuer mit prallen Pustebäckchen schön am Laufen. Und jetzt legt sie gleich noch einen Holzscheit nach. „Und noch `ne Kleinigkeit. `n guter Rat von mir. Ich an Ihrer Stelle würde hier keine Kontoauszüge in den Müll werfen.“ „Wieso nicht? Ich zerreiß die doch vorher.“ „Ja, aber nur dreimal. Die kann man ganz leicht wieder zusammensetzen. Is überhaupt kein Problem. Gar kein Problem. Ich mein ja nur... " Natürlich. Nach Einbruch der Dunkelheit puzzelt sie mit ihrem Mann im Lichte einer Kerze meine Kontoauszüge zusammen. Und wenn das Bild fertig ist, schlagen sie jubelnd die Arme über den Kopf zusammen. Wieder haben sie das Gehalt eines Mieters enttarnt. Eine brauchbare Information mehr, die man auf dem Prenzlauer Berg-Tratschmarkt einsetzen kann. Macht ja auch viel mehr Spaß als historische Gebäude zu puzzeln. Kann man ja verstehen. Sie beugt sich ein Stück vor. „Und noch was. Sie sollten nicht so viel von den Chips essen. Und vor allem weniger von diesen Energie-Drinks. Das is kein guter Lebenswandel. Kann ich nur von abraten“, sie dreht sich um und watschelt über den Hinterhof fort. Im Gehen wirft sie mir noch einen Blick über die Schulter zu. „Und nich vergessen. Keine krummen Dinger mit dem Müll. Ich seh das.“ Verzweiflung macht kreativ. Ich habe bis nach Sonnenuntergang gewartet. Der Schulturm in meiner Straße bimmelt elf mal. 23 Uhr. Von meinem Küchenfenster aus kann ich die Wohnung der Hausmeisterin observieren. Vor einer halben Stunde hat sie das Licht ausgemacht. Alles läuft nach Plan. Die anonymisierende Baseballkappe sitzt. Die Mülltüten liegen locker in der Hand. Ich schleiche durch das Treppenhaus. Ich kenne hier jede Stufe und weiß darum auch ganz genau, wie ich wo auftreten muss, um knarrende Geräusche zu vermeiden. Der Hinterhof ist still. Kein Mensch zu sehen. Das Licht da oben ist noch immer aus. Sehr gut. Ich werde den Müll gleichmäßig verteilen, dann fällt es nicht so auf. Noch mal ein Blick nach oben, zu ihrem Fenster. Nein. Nichts. Ich stemme die prallen Tüten mit heimlicher Schadenfreude über meine Schulter, will die Müllklappe aufreißen und stelle fest, dass es nicht geht. Wirklich nicht. Über den Deckeln ruht eine schwere Eisenstange, die in zwei eingelassenen, metallischen Ringen endet. Abgeschlossen. Verriegelt. Es ist unfassbar. Ich rüttel verzweifelt an der Stange. Es klirrt. Es scheppert. Und fast zeitgleich geht da oben das Licht an. Ein Fenster wird aufgerissen. Einen Moment später stehe ich im Strahl einer Handtaschenlampe. Mir ist übel. „Müll entleeren zwischen 22 Uhr abends und fünf Uhr morgens ist nicht erlaubt.“ Ich schweige. „Ich hab´s Ihnen doch gesagt. Keine krummen Dinger. Ich mach den Job nich erst seit gestern. Meine Pappenheimer kenn ich. Können se glauben.“ Ich glaube es. Wie könnte ich es nicht glauben? „Trinken se nicht so viel von dem Energie-Zeugs, dann können se auch nachts besser schlafen und müssen hier nich im Dunkeln ihre Faxen machen. Und ausgeruhter sind se dann auch, dann können se früher aufstehen und morgens als Erster an die Tonnen gehen.“ Das Fenster knallt wieder zu. Der Strahl der Taschenlampe verlischt. Die Schlacht ist verloren. Am nächsten Morgen begegnet mir eine Nachbarin. Sie blickt sich verschwörerisch um und flüstert mir ins rechte Ohr. „Ich habe das gestern mitgekriegt. Ich wollte es auch schon versuchen. Was machen wir denn jetzt bloß mit unserem Müll? Wo hin damit?“, jammert sie vor sich hin. Ich zeige auf das gelbe Haus auf der anderen Straßenseite. „Vielleicht einfach da drüben in die Tonnen packen? Die Tür ist immer offen.“ Meine Nachbarin schlägt hysterisch die Hände vors Gesicht. „Oh Gott. Bloß nicht. Der Hausmeister hat zwei Dobermänner. Das ist ein ganz harter Kerl.“ Fast hätten wir uns vor Verzweiflung umarmt. Dann trennen sich unsere Wege. Am Abend betrachte ich in meiner Küche die durchsichtigen Mülltüten. Zwei lästige Verwandte, die einfach nicht gehen wollen. Regelrecht eingenistet haben sie sich. Zerfetzte Chipstüten, leere Dosen und kaputt gebissene Äpfel starren mich sinnentleert durch die Folien an. Irgendwann ertrage ich es nicht mehr. Ich fülle den Müll in zwei Chanel-Einkaufstaschen um, die meine Mitbewohnerin Claudine hinter einer Tür gehortet hat. Wenn man schon verliert, sollte man es mit Stil tun. Wenigstens das. Kommentare sind geschlossen.
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