GOODBYE SHIRLEY: WAS DIE KLEINE AMERIKANERIN ÜBER DIE DEUTSCHEN DENKT"Boah, stinkt ja wie im Puff, dit Zeuch. Wat issn det?"
Mehmet der Taxifahrer blickt über seine Schulter. Auf seiner Stirn haben sich sieben Falten gebildet, die an mannshohe Wellen bei stürmischer See erinnern. Tschup-Tschup - da kommt schon die nächste Stinke-Wolke. Neben mir auf der Rückbank sitzt Shirley, die amerikanische Deutschlehrerin aus North-Dakota. Immer wieder drückt sie mit dem Zeigefinger auf einen Plastik-Zerstäuber in Herzform. Schwaden aus blumigen Dämpfen breiten sich in dem Taxi aus. Shirley kennt keine Gnade. Stoisch wie eine seelenlose Maschine presst sie den Zerstäuber nach unten. "Das ist rosewater ... ", sagt sie und streckt ihr Kinn herrisch vor. Mehmet hat gleich zwei neue Falten auf der Stirn. "Roswat ...?" "Rosenwasser." Tschup-Tschup. Mehmet ringt um Luft. "Also ... können se dit mal lassen? Ich hab hier noch andere Kundschaft nach Ihnen." Shirleys wasserblondes Haar ist so brutal hochtoupiert, dass es gegen den Wagenhimmel schlägt. Die raschelnden Geräusche erinnern mich an einen fegenden Besen. Sie beugt sich ein Stückchen vor. "Ich bezahl doch für die Fahrt. Das ist meine Sache. Understand … ? Außerdem stinkt es hier nach Rauch." Tschup-Tschup. "Also sagen se Ihrer Freundin, wenn die nich uffhört, schmeiß ich sie beide raus." Mehmet klatscht mit seinen behaarten Riesenhänden auf dem Lenkrad herum. Es klingt wie ein bedrohlicher Trommelwirbel vor einem Finale. Tschup-Tschup. Und gleich noch einmal: Tschup-Tschup. Ich kalkuliere die verbleibende Fahrtstrecke zum Flughafen Tegel. Wir brauchen noch fünf Minuten. Die könnte man auch zu Fuß gehen. Andererseits liegt im Kofferraum Shirleys Monster-Koffer, den ich im Zweifelfalle in der Hitze tragen müsste. Die Sache ist klar. Ich nehme ihr den Zerstäuber aus den Fingern. Sie schlägt zweimal mit der flachen Hand gegen die Kopflehne vor sich. Man mag es von Kindern kennen, denen man in der Buddelkiste die Schippe wegnimmt. Lässt mich komplett kalt. "Also, bei uns in the States gibt es so was nicht. Da sind die Taxi-Fahrer freundlich zu ihren Gästen. Was dem einfällt …", schimpft sie von der Rückbank. "Na, dann verpiss dich ma wieder da hin", meckert Mehmet leise zurück. Genau das ist der Plan. Shirleys Jahr als amerikanische Deutschlehrerin in Berlin ist vorbei. Sie kehrt nach North Dakota zurück. Es sind nur noch wenige Meter bis zum Flughafen Tegel. "Mach ich auch", schimpft sie in Mehmets Richtung zurück und fletscht ihre kleinen mausartigen Zähne. "Was ist denn das für ein Land hier?" Weil niemand die Frage beantworten will, übernimmt sie es gleich selbst. "Ihr zieht zuhause bunte Hausschuhe an, eure Polizisten sind dick und überall laufen am Strand nude people rum. Aber bei 30 Grad tragt ihr immer noch Stiefel, und wenn man nur mal vor die Haustür geht, wird man gleich beklaut." Sie reicht mir ein braunes Lederportemonnaie herüber, in das Fransen und indianisch anmutende bunte Strippen eingearbeitet sind. Sieht aus wie eine Solidaritätsbörse für ethnische Minderheiten. Politisch sehr korrekt. "Mach auf", fordert sie. Mach ich. "Es ist leer." "Siehst du? Alles weg. Kreditkarten, Bibliothekenausweis … alles stolen. Haben die mir im Park geklaut, und einen Tag später lag es meinen Briefkasten." Im Rückspiegel sehe ich Mehmets Augen, in denen ein fröhlicher Funke glüht. "Warum haben die es dir dann überhaupt in den Briefkasten gelegt?" Ich öffne das Fach für Scheine, und darin liegt ein kleiner Zettel, auf dem etwas mit Kugelschreiber gekritzelt wurde. Ha Ha. Du Opfer. Ich schätze den allgegenwärtigen Humor, der in Prenzlauer Berg wie ein strenger Patriarch herrscht. Allgegenwärtig und dennoch unerwartet. Wir erreichen den Flughafen. Die Fahrt kostet rund 23,- Euro. Shirley reicht Mehmet 25,- Euro herüber. "Der Rest ist tip ... Trinkgeld", ihre Stimme klingt sachlich, aber ihr Kinn ist schon wieder herrisch hervorgestreckt. Mehmet gibt ihr die zwei Euro zurück und an mich gewandt sagt er: "`n Bisschen Würde hab ick och noch. Ach ja ... und viel Glück." Dann fährt er mit seiner elfenbeinfarbenen Kutsche davon. Am Schalter nach Frankfurt ist einiges los. Sofort fallen mir die drei Frauen auf, die neben einer Säule stehen und die Arme hochreißen, als sie Shirley sehen. Es wird geküsst, geherzelt und umarmt. "Die sind aus meiner Bibel-Gruppe", ruft mir Shirley zu. Dann wird weiter umarmt und geküsst - bis zur Atemlosigkeit. Die Frauen sind mir unheimlich. Sie wirken auf seltsame Weise uniformiert. Alle drei haben den Körperbau eines Pandabären (ähnlich dem von Shirley) , schwere Brillen und Playmobilfrisuren. "Das sind Shannon, Cameron und Liz. Die sind auch für ein Jahr in Germany", ruft mir Shirley zu. Die drei nicken synchron, und in ihren Brillen brechen sich die seitlich einfallenden Sonnenstrahlen zu einem unwirklich reflektierten Heiligenschein. Besonders Liz fällt mir durch ihre übertriebene Fröhlichkeit auf. Sie zwinkert mir zu. Ihr rötliches Haar und die Sommersprossen erinnen ein wenig an Peppermint Patty, die nervende Freundin von Charly Brown. Sie ist es dann auch, die mit dem Fuß dreimal auf den Boden klopft Es ist ein heimliches Signal für Eingeweihte: Zunächst erklingt aus den drei Frauenmündern ein tiefer Brummton, der einem zornigen Teddy-Bären nicht unähnlich ist - und dann wird gesungen. Mit aller Kraft: "My Lord, hear my prayers, I´m a kind soul, please let me be by your side." Wäre ich ein Sammler von besonders peinlichen Momenten, dann würde ich mir dieses Prunkstück sofort in meine Vitrine stellen. Die drei werden immer lauter, ihre Münder sind weit aufgerissen. Passend dazu klatschen sie mit ihren Händen den Takt und bewegen ihre Oberkörper wie Pendel hin und her. "Ohhhhhhh ...", Shirley ist so gerührt, dass dicke Tränen über ihre geschminkten Wangen plätschern. Neben mir bleiben ein paar Leute stehen. Eine Blonde auf High Heels schaut mich an, als wolle sie checken, ob ich womöglich Teil dieser Gruppe bin. Einem animalischen Überlebensinstinkt folgend, wende ich mich von dem Trio ab. Shirley greift in ihrer emotionalen Aufruhr nach meiner Hand. Es gibt keinen Ausweg mehr. Und jeder sieht es. Ein Typ mit Baseballkappe guckt mich über den Rand seiner Sonnenbrille an und schüttelt nur den Kopf. Nach vier Minuten ist der Singsang vorbei. Die drei beklatschen sich selbst. Dann wird wieder geherzelt und geküsst. Von meiner Stirn tropfen dicke Schweißperlen. Nun umarmt mich Shirley auch noch einmal zum Abschied. Ihr Haar knistert wie Zuckerwatte vor meinem Mund. Sie blickt mich aus ernsten Augen an. "Wenn ich dir mal was schicken soll ... wenn du irgendwas brauchst ... call me ..." Na, das weiß ich doch sehr zu schätzen. Deutschland ist ja als Krisengebiet bekannt. Milchpulver und Tütensuppen könnte ich gut gebrauchen. Warme Decken wären auch nicht übel. Oder mal ein schönes Stückchen Seife ... Ein paar Minuten später ist Shirley hinter dem Counter der Fluggesellschaft verschwunden. Noch einmal winkt sie uns zu, dann verschwindet sie in der Menschenmenge. Nur ihre wasserstoffblonde Turmfrisur ist noch eine ganze Weile zu sehen. Das christliche Frauen-Trio aus Amerika blickt ihr wehmütig nach. Da geht sie hin. Sie hat es geschafft, das Jahr in der Hölle zu überleben, die Glückliche. Man könnte es aus ihren Augen lesen. Ich hingegen fühle mich ganz gut. Die Zeit mit Shirley war durchaus belebend und aufregend - aber vor allen Dingen ist sie vorbei. (Alle Geschichten haben einen Anfang - und den gibt es hier und hier.) Beim Herausgehen fragt mich Peppermint Patty: "Willst du mal in unsere Bibelgruppe kommen? You´re invited." "Ach, ich weiß nicht. Diese Sache mit Gott ..." Sie macht nur eine wegwischende Handbewegung. "Du, das kriegen wir schon hin. Trust me." Daran habe ich keinen Zweifel. Draußen scheint die Sonne. Ich laufe drei Runden um den Flughafen-Parkplatz herum, immer im Kreis, bis ich sicher bin, dass das Frauen-Trio in einem Bus verschwunden und die Maschine nach Frankfurt in der Luft ist. Goodbye Shirley. Kommentare sind geschlossen.
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